Warum ist ein Morphin-Entzug so wichtig?
Morphin ist als starkes Schmerzmittel im zentralen Nervensystem des Menschen aktiv. Dort bindet es als Agonist an die Opioid-Rezeptoren der Nervenzellen und beeinflusst dadurch deren Funktionalität. Das hat zur Folge, dass sich der empfundene Schmerz binnen kurzer Zeit deutlich reduziert. Gleichzeitig wird durch das Opioid die Aktivität der Botenstoffe im zentralen Nervensystem enorm beeinflusst, so dass der Neurotransmitter-Stoffwechsel völlig aus dem Gleichgewicht gerät. Dadurch stellt sich neben dem verringerten Schmerzempfinden eine positive Stimmungsveränderung ein. Wie beim Konsum von Alkohol oder Drogen fühlen sich die Patienten euphorisiert, glücklich und entspannt. Gerade diese Gefühle sind es, die letztendlich eine psychische Abhängigkeit hervorrufen können.
Durch die dauerhafte Einnahme gewöhnt sich aber ebenso der Körper an die tägliche Dosis Morphin (Toleranzentwicklung) und verlangt anschließend nach einer immer größeren Menge des Opioids. Dies kann schnell lebensgefährlich werden, denn eine unbeabsichtigte und unbehandelte Überdosierung von Morphin kann durch die meist hervorgerufene Atemdepression zum Tod führen. Von der Gefahr einer zu hohen Dosis und den körperlichen Nebenwirkungen einmal abgesehen, verliert ein Leben, das ausschließlich vom Konsum einer bestimmten Substanz dominiert wird, deutlich an Lebensqualität und wirkt sich negativ auf das soziale Umfeld aus.
Wie schnell Patienten vom Schmerzmittel Morphin abhängig werden, ist unterschiedlich. Grundsätzlich haben alle stark wirksamen Opioide und Opiate, zu denen neben Morphium ebenfalls Heroin, Buprenorphin, Hydromorphon, Oxycodon und Fentanyl gehören, ein sehr hohes Suchtpotenzial. Dasselbe gilt für die schwach wirksamen Opioide Codein, Tramadol und Tilidin und die Substitutionsmittel Methadon und L-Polamidon. Entscheidend ist immer, ob die Indikation stimmt und ob die Einnahme kontinuierlich in immer der gleichen Dosis erfolgt und zuverlässig hilft, oder ob die Einnahmehäufigkeit und Einnahmedosis immer weiter gesteigert werden und außer Kontrolle geraten. Ein gut eingestellter Schmerzpatient, der dank des Medikaments beschwerdefrei ist, entwickelt in der Regel keine klassische Suchterkrankung. Der Körper bildet zwar dennoch eine Abhängigkeit von diesem Medikament aus, es entsteht aber nicht das klassisch süchtige Verhalten und keine psychische Abhängigkeit (die immer schlimmer ist als die körperliche). D.h. solch ein Patient hätte kein psychisches Problem damit, jederzeit vorsichtig auf ein anderes wirksames Schmerzmittel umzusteigen.
Erfolgt die Morphin-Behandlung bei Menschen mit chronischen Schmerzen nicht mehr nur als Schmerztherapie, sondern auch aus einem Suchtempfinden bzw. Konsumdrang nach dem euphorisierenden Effekt, ist also schnelles Handeln gefragt. Je eher der Suchtkreislauf durchbrochen wird, umso größer sind die Chancen der Betroffenen in ein „normales“ Leben zurückzukehren und die Sucht nach Morphin zu überwinden. Wenn der Wirkstoff als illegale Straßendroge geraucht oder gesnifft wird, sollte ebenfalls schnellstmöglich ein Morphium-Entzug angestrebt werden. In der Sterbebegleitung spielt selbstverständlich der Aspekt der Abhängigkeit überhaupt keine Rolle.