Was ist ein qualifizierter Medikamentenentzug?
Der Ausstieg aus der Medikamentensucht ist schwierig, jedoch mit professioneller Hilfe durchaus möglich. Wie bei jeder anderen Sucht durchläuft der Suchtkranke mehrere Phasen. Beginnend mit der Vorahnung, über die Erkenntnis der Sucht und der Absicht, von den Medikamenten loszukommen bis zur konkreten Handlung und der nachhaltigen Stabilisierung, ist der grobe Ablauf bei allen Betroffenen gleich. Je nach Charakter sind die einzelnen Phasen jedoch im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt.
Motivation
Im Gegensatz zur Alkoholsucht ist die Medikamentensucht eine „versteckte“ Sucht. Schließlich nimmt der Medikamentenabhängige die Arzneimittel auf Anordnung eines Mediziners ein, so dass der Gedanke an eine mögliche Sucht zunächst völlig abwegig zu sein scheint. Wenn der Betroffene jedoch ohne Zopiclon oder Zolpidem nicht mehr schlafen kann, der Kopfschmerz nur noch durch Schmerzmittel wie Tilidin oder Tramadol gelindert wird und der Tag nur durch Tavor® erträglich ist, setzen sich viele Suchtkranke früher oder später kritisch mit ihrem Medikamentenkonsum auseinander. Bei dem begründeten Verdacht auf eine Tablettensucht ist in den meisten Fällen der erste Ansprechpartner der Hausarzt, der aufgrund spezifischer Fragen und dem Diagnose-Manual ICD-10 die passende Diagnose stellen kann. Sollte eine Abhängigkeitserkrankung vorliegen, wird der behandelnde Mediziner häufig zu einer qualifizierten Entzugstherapie in einer Suchtklinik raten, da hier die Entgiftung unter medizinischer Aufsicht erfolgt und die Entzugserscheinungen so gering wie möglich gehalten werden. Diese Phase der Einsicht und Motivation ist der eigentlichen Entzugsbehandlung vorgelagert.
Entgiftung
Um gravierende Entzugserscheinungen zu vermeiden, muss der Neurotransmitter-Stoffwechsel durch eine schrittweise Reduzierung der Dosis (fraktionierter Entzug) nach und nach an den verringerten Wirkstoffspiegel im synaptischen Spalt gewöhnt werden. Hier spricht man von einer Entgiftung oder einem (körperlichen) Entzug. Dieser kann bei einer Abwicklung über die gesetzlichen Krankenkassen in einem Akutkrankenhaus oder einer Psychiatrie stattfinden oder in einer privaten Medikamentenentzug-Klinik erfolgen. Während der Behandlung wird der Körper vollständig von der jeweiligen Substanz und deren Metaboliten befreit; solange bis der Wirkstoff in Blut und Urin nicht mehr nachweisbar ist. Die dabei auftretenden Entzugssymptome werden medikamentös und / oder durch begleitende Therapien gelindert. Bei Benzodiazepinen, die Wirkstoffdepots im Körper aufbauen, erfolgt der Entzug in der Regel über spezielle Entzugsschemata, in denen genau festgelegt wird, in welchen Schritten die Dosierung reduziert wird.
Entwöhnung
Für eine dauerhafte Medikamenten-Abstinenz muss neben der körperlichen auch die psychische Abhängigkeit beendet werden. Daher folgt auf die Entgiftung eine Entwöhnungsphase, in welcher der Suchtkranke sich unter kompetenter psychologischer Begleitung mit den Ursachen seiner Sucht auseinandersetzt und lernt, wie er langfristig ohne Medikamente auskommen kann. Bei den gesetzlichen Kostenträgern erfolgt die Entwöhnung während einer längerfristigen Rehabilitation von 3 bis 4 Monaten, ist jedoch in der Regel mit einer mehrwöchigen Wartezeit auf einen Reha-Platz verbunden, in welcher der Betroffene einen erneuten Widerstand gegen die Behandlung aufbauen kann und stark rückfallgefährdet ist.
Die Entwöhnung in einer privaten Suchtfachklinik erfolgt direkt im Anschluss an die Entgiftung oder Hand in Hand, ermöglicht eine kontinuierliche, multiprofessionelle Behandlung und verhindert Rückfälle aufgrund der durchgängigen Therapie. Die Möglichkeit, in einer intensiven Einzeltherapie mit dem bereits vertrauten Therapeuten weiterzuarbeiten, fördert den Therapieerfolg, stärkt die Konfliktverarbeitung und begünstigt bessere Bewältigungsstrategien. Dazu gehören Familien- und Paargespräche, welche einerseits dem gemeinsamen Miteinander, andererseits aber auch der konstruktiven Auseinandersetzung dienen. Eine psychoedukativ gestaltete Rückfallprävention bereitet den Patienten auf mögliche Rückschläge im Alltag vor. Begleiterkrankungen wie Depressionen, Angstzustände oder Verhaltensstörungen werden im Rahmen des ganzheitlichen Therapiekonzeptes mitbehandelt.
Nachsorgephase
Um den Weg aus der Medikamentensucht nicht durch alte Verhaltensmuster zu gefährden, ist nach dem erfolgreich abgeschlossenen Medikamentenentzug eine ambulante Nachsorge zwingend erforderlich. Diese erfolgt üblicherweise durch den regelmäßigen Besuch eines qualifizierten Nachsorgetherapeuten, mit dem kritische und belastende Situationen mit Rückfallgefahr besprochen werden. Ebenso empfehlenswert ist die Teilnahme an lokalen Selbsthilfegruppen, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden und gegenseitige Ermunterungen stattfinden. Nicht selten entstehen auf diese Weise intensive soziale Kontakte, die auch außerhalb der Gruppe fortbestehen. Ebenso sollten psychische, psychosomatische, somatische oder psychiatrisch-neurologische Begleiterkrankungen weiterbehandelt werden. Bei vorhandener Multimorbidität sind unter Umständen physikalische Therapien, eine psychiatrische Medikation, kombinierte Schmerzbehandlungen, Sport, Bewegung und ein Entspannungstraining sinnvoll.