„Dependence Days“ – Manager Magazin Online, 25.06.2010
Viele Manager greifen zu Alkohol, Medikamenten, Drogen. Manche werden abhängig und leiden, oft jahrelang. Bis sie professionelle Hilfe suchen: in einer Suchtklinik.
Armin Petersen* überprüfte die Vorräte auf seiner Slup-Segeljacht: 60 Flaschen Wodka hatte er vor sieben Wochen gebunkert, 5 waren noch übrig. Eine ernüchternde Bilanz: „Zwischen Dakar und Bahia hatte ich täglich mehr als einen Liter getrunken – ohne mich angetrunken oder gar betrunken gefühlt zu haben.“ Bis zu diesem Tag war Petersen stolz darauf gewesen, deutlich mehr als andere zu vertragen. Nun wusste der 32-jährige Prokurist eines Finanzdienstleisters: Er war zum Alkoholiker geworden.
Andere Führungskräfte nehmen morgens Aufputschmittel, abends Tranquilizer, schnupfen Kokain oder dopen sich mit Neuro-Enhancern. Wie viele das tun, weiß niemand, soll niemand wissen. Suchtprobleme in der Chefetage sind tabu, aber ein Thema.
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Die Therapie suchtkranker Manager – eine Wachstumsbranche?
Warum verlieren gerade jene, die andere führen, heute immer öfter die Kontrolle über sich? Einst regelten rituelle Praktiken und kulturelle Traditionen den Umgang mit Drogen und Rauschzuständen – eine erfolgreiche Suchtprophylaxe.
Tempi passati für global und interkulturell agierende Manager. „Heute haben wir die Pluralisierung des Drogenkonsums“, so Gundula Barsch, Drogenforscherin an der Hochschule Merseburg. Im Unterschied zu früher habe der Konsum „psychoaktiver Substanzen“ heute vor allem auch die Funktion, Belastungen und Anspannungen zu lindern. Ob man dies mit Alkohol, Nikotin, Kokain oder Cannabis versucht, ist hirnphysiologisch fast egal. Denn alle Drogen wirken auf das Belohnungssystem im Gehirn, indem sie den Dopamin-Spiegel erhöhen. Dieser Neurotransmitter bewirkt dann in der Großhirnrinde, dass man sich besser, sich gut fühlt – und in der nächsten Krisensituation erneut nach der Droge verlangt. Ein Risiko in Krisenzeiten.
Doch nicht jeder Krisenmanager wird süchtig. Welche Rolle spielen die Erbanlagen? Aktuell unter Verdacht stehen das Gen CRHR1, das Protein GDNF und das Hormon Ghrelin. Doch die Psychotherapeuten winken ab. Gibt es dann womöglich eine Suchtpersönlichkeit? Einige gemeinsame Wesenszüge waren dem amerikanischen Psychiater Harry M. Tiebout während seiner Zusammenarbeit mit den Anonymen Alkoholikern bereits in den 40er Jahren aufgefallen: ihr Bedürfnis, andere zu dominieren, ihr Hang zum Perfektionismus oder die Neigung zur Selbstüberschätzung – alles Eigenarten der Manager.
Peter M. Roth, Leitender Arzt und Psychotherapeut an der My Way Betty Ford Klinik, ergänzt: „Es gibt gewisse Persönlichkeitszüge, die eine Suchterkrankung wahrscheinlicher machen.“ Suchtpatienten leiden häufig an einem Autonomieproblem, also einem Konflikt zwischen Unterordnung und Freiheitswillen. Und Psychiater Mundle weiß: „Gerade narzisstisch veranlagte Menschen, deren Ego extrem auf Anerkennung und eine gute Außendarstellung angewiesen ist, tendieren zum Konsum von Drogen.“ Roth ist überzeugt, dass Sucht auch mit Allmachtsfantasien zu tun hat. Erfolgsgestählten Managern fällt es oft schwer zu akzeptieren, dass sie nicht alles selbst steuern können.
Das kann fatale Folgen haben: „Viele Manager vergessen, sich zu fragen: Wo sind meine Grenzen?“, sagt Mundle. Zumal wenn ihnen ein modernes Stressmanagement fehlt. Ein gefährliches Defizit: „Und das in Zeiten, da einerseits die psychische Belastung zugenommen hat und andererseits die Bereitschaft, den Druck wegzuschlucken, deutlich gestiegen ist.“
2. Teil: Suchtmittel Nummer eins in den Chefetagen
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Auch Psychotherapeut Roth kennt die Probleme der Leistungsträger: „Wir haben es in der My Way Betty Ford Klinik meist mit Menschen zu tun, die überaus pflichtbewusst, korrekt, leistungsorientiert sind, die Verantwortung übernehmen. Dabei kommt ihre Selbstbestimmung zu kurz.“ Und auch Soziologin Barsch nennt rollenspezifische Leistungs- und Omnipotenzerwartungen, Konkurrenz und Belastung im Job als eine Ursache von Suchterkrankungen, „bei gleichzeitig unterdurchschnittlicher Psychohygiene und außerberuflicher Identität“. Der Auslöser einer Suchterkrankung ist dann meist eine psychische Stresssituation: Die Angst, den Job zu verlieren, der Zwang, Mitarbeiter entlassen oder immer wieder gegen das eigene Wertesystem verstoßen zu müssen.
Suchtmittel Nummer eins in den Chefetagen ist der Alkohol. „Rund 75 Prozent unserer Patienten haben ein Alkoholproblem“, sagt Klinikchef Kampz. Erstaunlich, denn in einer Alkoholkultur – was Europa traditionell ist – lernt man normalerweise bereits in der Jugend den kontrollierten Umgang mit dieser Droge.
Wie Armin Petersen: „In meinem Elternhaus wurde zu den Mahlzeiten gern Wein getrunken. Als ich dann alt genug war, erhielt ich auch häufiger ein kleines Glas.“ Petersen erinnert sich aber auch an den „euphorisierenden und wärmenden Effekt“ durch den Alkohol. Genau dadurch kann eine Sucht entstehen: „Viele Betroffene blenden gern aus, dass neben dem Genuss auch die entspannende Wirkung des Alkohols von Anfang an eine Rolle gespielt hat“, sagt Kampz.
Ein Viertel seiner Patienten ist abhängig von Kokain, Tranquilizern oder Aufputschmitteln. Für die Wachmacher braucht man ein spezielles Betäubungsmittelrezept, doch mancher Manager besorgt es sich rezeptfrei in Südamerika. Einfacher kommt man an Tranquilizer: „Für Privatpatienten ist es sowieso kein Problem, sich Rezepte zu besorgen“, weiß die Berliner Apothekerin Ute Neumann. „Eines holt man sich beim Hausarzt, dann eines beim Internisten oder Neurologen.“ Und wenn man mal in diese, mal in jene Apotheke geht und das Privatrezept nicht bei seiner Krankenkasse einreicht, dann erfährt niemand, wie hoch der Medikamentenkonsum tatsächlich ist. Beschaffungsoriginalität sozusagen.
Der „Treibstoff der New Economy“, Kokain, gehört zu den illegalen Drogen. Vielen Konsumenten ist das egal: Denn mit C17H21NO4 steigt die Stimmung – auch wenn der Cashflow sinkt. Die Leistungsfähigkeit kennt dann keine Grenze, zumindest subjektiv. Und nicht zuletzt: der Sex … Doch spätestens nach einigen Jahren folgen zwangsläufig Erschöpfung, Antriebslosigkeit und Ängste. Häufig auch Depressionen, wie bei einem Patienten von Roth: „Er verbrachte ein Jahr im Bett, bevor er in unsere Klinik kam.“
In Zukunft werden Neuro-Enhancer in den Chefetagen eine immer größere Rolle spielen. Ob diese Brainbooster für das Gehirn riskant sind oder nicht, darüber streiten die Wissenschaftler noch. Unbestritten ist deren Wirkung: tagelang durcharbeiten. Für Psychiater Mundle ein Albtraum: „Manager geraten dann noch leichter in eine Überforderungsspirale.“ Ein Risiko, denn chronische Powerplayer sind besonders suchtgefährdet.
Doch wer nimmt was? „Das Suchtmittel gibt dem Betreffenden das, was er braucht“, so Roth. „Bei Opiaten geht es meist um mangelnde Selbstliebe, bei Tranquilizern um Ängste, bei Kokain um ,schneller, höher, weiter‘. Bei Alkohol spielt oft auch die symbolische Bedeutung des Getränks eine Rolle – Whisky hat in der Regel mit dem Typ Lonesome Cowboy zu tun.“
Immerhin: Viele kranke Manager suchen sehr schnell professionelle Hilfe: „Sie ertragen es nicht, die Kontrolle über ihr Verhalten verloren zu haben und ständig an Alkohol denken zu müssen“, erklärt Roth. Die meisten quälen sich jedoch viele Jahre. Verzweifelt versuchen sie immer wieder, ihr Suchtproblem zu lösen, allein – wie die Probleme in der Firma. (…)
Doch das kann gefährlich werden: Die Entzugssymptome bei Alkoholikern sind Zittern, Schwitzen, Krämpfe, Erbrechen, Herz-Kreislauf-Beschwerden oder schlimmstenfalls ein Delirium tremens. In der Klinik hingegen werden die Beschwerden mit Medikamenten gelindert, dort ist man auf Notfälle vorbereitet.
3. Teil: Gruppentherapie für Alphatiere
Hausärzte sind bei der Beratung von suchtkranken Führungskräften meist überfordert. Armin Petersen etwa bekam den Rat, sich zusammenzunehmen, weniger und nur gute Sachen zu trinken: „Das war keine Lösung, insbesondere, da ich immer nur ,gute Sachen‘ getrunken habe.“ Bei abhängigen Akademikern sieht Drogenforscherin Barsch zudem ein „Identifikationsproblem“: Sie wollen nicht mit sozial schwachen Trinkern auf einer Stufe stehen. Wichtig sei vielen für ihre Therapie die Einbettung in eine Gruppe mit vergleichbarem soziokulturellen Niveau und entsprechenden intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten.
Kampz bestätigt das: „Manche haben schon einen Therapiemarathon hinter sich. Das Problem war oft, dass sie in dieser schwierigen Situation mit Menschen aus anderen sozialen Schichten auskommen mussten.“ Deshalb hat man sich in den Oberberg-Kliniken und der My Way Betty Ford Klinik auf die Behandlung von Privatpatienten spezialisiert und nimmt diese zu jeder Tages- und Nachtzeit auf, auch im „intoxikierten Zustand“, also unter Drogen.
Erste Etappe auf dem Weg aus der Sucht ist – entsprechend dem traditionellen Zwölf-Schritte-Entwöhnungsprogramm der Anonymen Alkoholiker – „die Einsicht in die eigene Machtlosigkeit“. Der Patient muss rational und vor allem auch emotional akzeptieren, dass er chronisch krank ist und nicht etwa willensschwach. „Auch ich konnte mir nicht eingestehen, dass ich von einer Substanz abhängig sein könnte. Das entsprach nicht meinem Selbstverständnis“, erinnert sich Armin Petersen. „Ich war bereits in einer Führungsposition, als kompetent und durchsetzungsfreudig bekannt. Mangelnde Willensstärke konnte unmöglich mein Problem sein.“
In der Klinik erfolgt zunächst der Entzug, die körperliche Entgiftung. Viele fühlen sich danach so gut, dass sie glauben, ihr Suchtproblem habe sich erledigt. Ein Fehlschluss, denn erst jetzt kann die Entwöhnung, die Therapie der psychischen Abhängigkeit, beginnen. Psychotherapeut Roth: „In den Einzeltherapiestunden versucht man zu verstehen, was der Patient mithilfe des Suchtmittels für seinen Gefühlszustand und seine zwischenmenschlichen Beziehungen erreichen will.“ Der Blick zurück – als Ausblick in die Zukunft.
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Auch widerstrebt es vielen Managern, von Medizinern bevormundet zu werden. Deshalb verfolgt man in der My Way Betty Ford Klinik einen anderen Ansatz: Der Arzt übernimmt dort nicht die Führung in der Therapie. „Man nimmt den Patienten mit seiner seelischen Not an, die zu Alkohol als Selbstmedikation geführt hat“, so Psychotherapeut Roth. Gleichzeitig erkennt man die Motivation des Patienten an, von der Sucht loszukommen, und unterstützt ihn dabei. Diese Haltung sei bei Managern erheblich wirkungsvoller als ein autoritäres Verhalten des Arztes.
Ein Drittel der Patienten in den Suchtkliniken sind Frauen. Sie kommen meist früher in die Therapie als Männer, haben wegen ihrer Drogenabhängigkeit größere Schuldgefühle als Männer und gestehen sich ihre Ohnmacht gegenüber dem Suchtmittel – meist Medikamente – eher ein. (…)
4. Teil: Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung
Damit der Therapieerfolg von Dauer ist, muss der Patient seine innere Einstellung ändern. Das hat Konsequenzen, und nicht immer hat die Firma, die Familie Verständnis: Oft werden an den vermeintlich Geheilten die gleichen Anforderungen gestellt wie vor der Therapie. Daran scheitern manche, werden rückfällig. Deshalb sprechen die Psychotherapeuten in der My Way Betty Ford Klinik auch mit den Lebenspartnern der Patienten, beziehen diese in die Therapie mit ein. Zudem organisiert Klinikchef Kampz für seine Patienten noch vor der Entlassung einen Termin bei einem nachbehandelnden Arzt und erkundigt sich regelmäßig bei seinen ehemaligen Patienten, ob sie noch abstinent, noch drogenfrei sind.
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Angst vor Stigmatisierung, Angst vor Diskriminierung – mancher Manager möchte nicht, dass seine Krankheit aktenkundig wird, und zahlt die Klinikrechnung freiwillig selbst. Andere müssen selbst zahlen: Bei Privatpatienten wird der Entzug in der Klinik – für längstens zwei Wochen – als „akute Krankenhausbehandlung“ erstattet, die mehrwöchige Entwöhnungstherapie jedoch nur, wenn dies ausdrücklich Bestandteil des Versicherungsvertrags ist.
Eine Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen, unter veränderten Vorzeichen: Bei gesetzlich Versicherten übernehmen die Kassen den Entzug, die Rentenversicherung zahlt die Entwöhnungstherapie. Ein Selbstständiger, der privat-, aber nicht rentenversichert ist, bleibt auf den Kosten sitzen. Wenigstens kommen die Privatkassen für die Behandlung der „gesundheitlichen Folgeschäden“ (etwa eine Leberzirrhose) auf.
Doch die Nachfrage reguliert das Angebot: „Einige private Versicherer bieten speziell auf Leistungsträger wie Manager zugeschnittene Tarife an, die unter anderem Präventionsmaßnahmen erstatten“, so Pressereferent Stephan Caspary von der PKV. „Hier kann man nachfragen, ob gegebenenfalls auch die Therapie von Burn-out- und Abhängigkeitserkrankungen absicherbar ist.“ Bei einem Tagessatz der Suchtkliniken von rund 450 Euro und einem Aufenthalt von etwa sechs Wochen ist das eine Kalkulation wert. Klinik statt Koks. Psychotherapeut Roth hat schon oft erlebt, dass kokainabhängige Manager ausrechnen, wann sich ihre Therapiekosten amortisiert haben. Déformation professionelle.
Quelle: Manager Magazin Online, 25.06.2010