„Beim Verzicht zählt jeder Tag“ – Focus Online, Januar 2019
Weniger Alkohol zu trinken: Das nehmen sich viele Menschen immer dann vor, wenn sie glauben, es übertrieben zu haben. Sie beschließen zumindest eine Pause vom Alkohol, damit sich der Körper und vor allem die Leber erholen können. Das gelingt tatsächlich erstaunlich schnell – und nicht nur zur Fastenzeit.
Experten sagen: „Wer zweimal pro Woche auf Alkohol verzichten kann, ist nicht abhängig“
Besserer Schlaf, mehr Energie – was bewirkt ein längerer Zeitraum ohne Alkohol mit dem Körper?
Abstinenz kann sichtbare Folgen haben
Weihnachten und Silvester, Karneval, sommerliche Weinfeste oder das Oktoberfest – es gibt im Lauf des Jahres reichlich Anlässe, bei denen viele Menschen mehr Alkohol trinken, als ihnen gut tut. Und weil die meisten das auch wissen, schwören sie allen alkoholischen Getränken ab – zumindest für eine Weile. In Großbritannien starten sogar zweimal jährlich große Kampagnen für den Alkoholverzicht. Im „Dry January“ und bei „Sober in October“ werden die Bürger dazu aufgerufen, einen Monat lang „trocken“ beziehungsweise „nüchtern“ zu bleiben..
Ob individueller Vorsatz oder Gesundheitskampagne – viele, die auf die Alkoholbremse treten, wollen ihrer Leber ein paar entlastende Detox-Wochen gönnen. Oder sie wollen überprüfen, wie schwer ihnen der Verzicht auf das Feierabend-Bier, das Glas Wein zum Essen oder den Drink in der Bar fällt.
Aber was bewirkt der Alkoholverzicht für den Organismus, den Stoffwechsel, das Wohlbefinden? Und wie lang sollte die Abstinenz dauern, bis eine spürbare Veränderung eintritt?
Das bringt ein Tag ohne Alkohol
Wer nicht gerade mit einem ordentlichen Hangover vom Vorabend in einen alkoholfreien Tag startet, wird keine körperliche Veränderung durch die Mini-Abstinenz bemerken. Allenfalls werden das Pils oder das Glas Wein am Abend vermisst und das Mineralwasser als geschmacklich wenig befriedigender Ersatz empfunden. Das sei aber noch kein Zeichen für eine beginnende Abhängigkeit, sondern einfach der Bruch mit einer täglichen angenehmen Gewohnheit.
Jarmila Mahlmeister, Chefärztin an der Betty-Ford-Klinik in Bad Brückenau sagt: „Für Menschen mit normalem Alkoholkonsum gilt: Wer zwei Tage pro Woche problemlos auf Alkohol verzichten kann, ist nicht abhängig.“ Experten raten ohnehin zu dieser regelmäßigen Kurzabstinenz, vor allem für einen bewussteren Umgang mit dem potenziellen Suchtmittel. Wer am alkoholfreien Tag allerdings immer daran denkt, nichts trinken zu dürfen oder sehr mit sich kämpfen muss, abends nicht doch noch bei der nächsten Tankstelle ein alkoholisches Getränk zu holen – der sollte seinen Konsum ernsthaft überdenken. Denn der Alkohol spielt schon eine dominante Rolle im Alltag und die Grenze zur Abhängigkeit ist nah.
Das bringt eine Woche ohne Alkohol
Wer zuvor täglich alkoholische Getränke konsumiert hat, kann schon in den ersten Tagen erste körperliche Veränderungen wahrnehmen, die nach zwei Wochen noch deutlicher werden:
- Besserer und tieferer Schlaf
- Gesteigerte Leistungsfähigkeit
Mahlmeister ergänzt: „Wenn die Leber durch Alkoholverzicht entlastet wird, baut sie sofort eingelagerte Fette ab. Die Triglyceride reduzieren sich schon nach wenigen Tagen, bei den Cholesterinen dauert es länger. Aber generell erholt sich unsere Leber verblüffend schnell.“
Das bringt ein Monat ohne Alkohol
Für diesen Zeitraum gibt es gute Zahlen aus Großbritannien, wo immer im Januar eine Alkoholfrei-Kampagne gestartet wird: Untersuchungen der Universität Sussex nach dem „Dry January“ (alkoholfreier Januar) von 2018 haben gezeigt, was der Verzicht auf Bier, Wein und Spirituosen tatsächlich bringt. Nach 31 Tagen ohne Alkohol hatten die Teilnehmer nicht nur eine bessere Kontrolle über ihr Trinkverhalten, sie hatten auch mehr Energie, eine schönere Haut und weniger Gewicht. Die Januar-Abstinenzler registrierten auch einen besseren Schlaf, niedrigeren Blutdruck und höhere Konzentrationsfähigkeit. „Wir hören von vielen Teilnehmern, dass sie sich danach gesünder und glücklicher fühlen. Und dass sie keinen Alkohol benötigen, um Spaß zu haben und zu entspannen“, sagt Richard Piper von „Alcohol Change UK“, den Initiatoren von Dry January.
Die Expertin der Betty-Ford-Klinik ergänzt:
Eine überlastete Leber macht müde. Wer auf Alkohol verzichtet, ist daher wacher, fitter, leistungsfähiger.
Alkohol behindert den Zellstoffwechsel, schwemmt auf, sorgt für Lymphstau. Wer auf Alkohol verzichtet, bekommt straffere Konturen und glattere Haut.
Alkohol hat viele nutzlose Kalorien. Wer etwa täglich auf zwei Einheiten à 200 Kalorien verzichtet, hat nach 30 Tagen schon 12.000 Kalorien eingespart: ein (theoretischer) Gewichtsverlust von fast zwei Kilogramm.
Das bringt ein Jahr ohne Alkohol
Die Leber ist wie neu. Sogar schwere alkoholbedingte Leberschäden können durch den kompletten Verzicht geheilt werden.
Der gesamte Stoffwechsel, auch die Verdauungsprozesse und die Fettverbrennung, läuft schneller ab. In Kombination mit der gesteigerten Leistungsfähigkeit durch besseren Schlaf und mehr Aktivität durch bessere Fitness kommt es zu einem optimierten Körpergefühl.
Wer normalerweise zwei Drinks pro Tag zu sich nimmt, kann nach einem Jahr Verzicht allein durch die eingesparten Kalorien 20 Kilogramm abnehmen.
Und: „Wer ein ganzes Jahr keinen Alkohol getrunken hat, kann eigentlich auch in Zukunft darauf verzichten“, sagt Jarmila Mahlmeister. „Auch wenn Alkohol bei uns in vielen gesellschaftlichen Situationen ‚dazu‘ gehört, bedeutet der Verzicht keinen Verlust an Lebensqualität.“
Wer aber nicht ganz verzichten möchte, sollte die Regeln für den moderaten Konsum vor Augen haben: Für Männer ist pro Tag ein halber Liter Bier oder ein Viertel Liter Wein „erlaubt“. Frauen, die Alkohol weniger gut abbauen, sollten nicht mehr als die Hälfte davon trinken.
Quelle: Focus Online, Januar 2019